Aquamarin Anhänger

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Leise plätscherte das Wasser, kosend weich umschmeichelte der sanfte Wind die schlanken, strengen Zypressen und die prächtigen Palmen. Die Sonne senkte langsam ihre goldenen Strahlen in die unendliche saphirblaue Tiefe des Meeres.
Am Strand saß einsam ein junger Mann mit einem Block und einem Zeichenstift und blickte in die Ferne. Er suchte nach Motiven. Viele Bilder zogen in seiner Fantasie vorbei und immer wieder blieb sein Auge an der fernen, kaum erkennbaren Insel haften. Ihn lockte das Geheimnis, das sich um dieses Kleinod im Meer rankte. Die scheuen, knappen Erzählungen der Einwohner über die seit langem verlassene Insel, über ihre frühere Herrschaft, über das rätselhafte Schicksal des schönen Mädchens, das einstdiese Insel bewohnte und aus Liebeskummer in die Fluten sprang, weckten seineNeugier.
"Leihst du mir dein Boot, Josef?"
"Nein", kam die mürrische Antwort aus der kleinen Schilfhütte am Strand.
"Soll ich hinschwimmen oder laufen?"
"Laufe."
"Sei nicht so unfreundlich. Gib mir dein Boot. In zwei Stunden binich zurück."
"Nein. Laufe hin oder schwimme, aber laß mich in Ruhe, ich bin müde."
"Du schläfst den ganzen Tag und die ganze Nacht. Wovon bist du müde? Was bist du für ein fauler Mensch!"
"Ich bin nicht faul, laß mich schlafen."
"Kriege ich dein Boot oder nicht?" fragte ungehalten der junge Mann. Er bekam keine Antwort.
"Nun gut, wie du willst! Ich schwimme hin, aber fischen mußtdu heute allein!"
Der Jüngling legte Papier und Zeichenstift beiseite, streifte die Sandalen ab und lief zum Wasser.
"Nimm schon das Boot, du verdammter Narr! Du läßt dir ja doch nichts sagen! Rudere hin, mach selbst deine Erfahrungen, auf mich hörst du ja nicht. Sieh dir das Elend dort an, aber achte darauf, daß dunoch vor Sonnenuntergang zurück bist."
"Schon gut, ich bin bald zurück."
"Komm noch vor Sonnenuntergang! Hörst du? Denk daran!",schrie der Greis dem sich entfernenden Boot nach.
Klar und ruhig war das Meer. Samtweich und golden schimmerte der feine Sand. Die sonne warf tausend brennende Funken auf die Wasseroberfläche. Gespannt blickte der junge Mann der faszinierenden, fremden Insel entgegen. Ein Hauch Romantik, gemischt mit einem gehörigen Schuß Neugier bewegte seine Brust. Langsam näherte er sich den senkrechten Felsen.
Zweimal umruderte er das Gestein, bevor er die kleine, versteckte Grottefand, in der er sein Boot befestigte. Über eine schmale, feuchte Steintreppe gelangte er an die Oberfläche und stand plötzlich in einem paradiesischen Garten mit üppiger Vegetation. Efeu und Sträucher überwucherten die Wände des verfallenen Schlosses. Die Sonne beleuchtete eine Reihe weißer Grenzsteine, die am Rande des Felsens standen. Jeder der Steine trug eine verblaßte Inschrift.
Die Halle des Schlosses lag im Dunkeln. Ein feuchter, kühler Hauch wehte ihm entgegen. Die Reste der einstigen Pracht waren noch zu erkennen, aber die Zeit war nicht spurlos daran vorübergegangen. Die Möbel waren fast vermodert, die Stoffe zerfielen bei dem geringsten Windhauch. Eine dicke Schicht Staub bedeckte den Boden und von der Decke hingen Spinnengewebe herab.
Im Nebengemach stand das Gestell eines einstmals bequemen Bettes. Ein zerbrochener Spiegel hing an der Wand und über dem Kamin ein Bild...
Betroffen blieb der junge Maler stehen. Das Bild war neu, der Rahmen unbeschädigt, die Farben wirkten frisch. Ein zauberhaftes junges Mädchen blickte ihn mit dunklen Augen spöttisch und zugleich lockend an. Vermutlich stellte das Bildnis die frühere Herrin des Schlosses dar. Ihre Kleidung waraltmodisch, aus fließenden Stoffen gefertigt, das dunkle üppigeHaar mit einem Perlennetz gehalten. Um den Hals trug sie eine matt schimmerndePerlenkette, die an der Brust in einem großen, funkelnden Aquamarinendete.
Dieses Kunstwerk war von Meisterhand geschaffen! Die Augen, das ganze Gesicht wirkten so echt und nah, daß man ein lebendiges Wesen vor sich zu sehen glaubte. Je länger der junge Mann das Bildnis betrachtete, desto unheimlicher wurde ihm zumute. Ein banges Gefühl erfaßte ihn, er schauderte und lief hinaus.
Wärme und Blütenduft strömten ihm entgegen. Die Sonne neigte sich dem Westen zu. Er besann sich seines Versprechens, vor dem Sonnenuntergang zurück zu sein und eilte zum Boot.
Mit jedem Ruderschlag blieb die kleine Insel weiter zurück und das bange Gefühl verschwand. Erleichtert atmete er auf, als er den Strand unter seinen Füßen spürte. Erschöpft von seinem Abenteuerlegte er sich in den Sand und schlief ein.
Eine warme Sommernacht breitete sich über die Erde. Silbrig schimmerte das Wasser des Meeres. Der Mond bildete eine leuchtende Lichtstraße auf dem Wasser, die bald die unheimliche Insel erreichte. Ein durchsichtiges Wesen glitt dem Festland zu. Weich bedeckte der leichte Stoff den schlanken Körper, das offene Haar fiel sanft über die zarten Schultern.
Das Mädchen erreichte das Ufer, ging auf den schlafenden Maler zu, neigte sich über ihn und flüsterte ihm zu: "Komm mit mir, Liebster, wach auf. Ich warte auf dich. Komm mit mir, eine Sommernacht ist kurz, versäumen wir nicht die kostbaren Stunden."
Schlaftrunken erhob er sich und folgte dem Ruf der Fremden. Sie glitt vor ihm die Mondstraße entlang auf die Insel zu und er folgte in ihremSog. Sie betraten die Insel und der junge Mann erwachte vollends. Er erkanntedie Umgebung nicht mehr wieder. Das Schloß, eben noch eine verlasseneRuine, war nun hell erleuchtet, fröhliche Musik und Menschenstimmenklangen ihnen entgegen. Die Unbekannte führte ihn in die Halle, dieer vor wenigen Stunden verlassen hatte. An einem festlich gedeckten Tischspeiste eine seltsame Gesellschaft. Ein betagter Diener servierte.
"Sei mein Gast", sagte das Mädchen freundlich, "ich ziehe mich um und komme gleich wieder." Sie entfernte sich leichtfüßig.
"Was wünscht der Herr zu trinken?", hörte der Maler eine ihm vertraute Stimme sagen und erkannte zu seiner Überraschungin dem Diener den alten Josef aus der Schilfhütte am Strand. Sein Mundöffnete sich schon zu einer Frage, doch dann erstarrte er.
"Du unverbesserlicher Narr", flüsterte der Diener böse, "habe ich dich nicht gewarnt? Du wolltest ja auf mich nicht hören. Jetzt bist du verloren. Hier, nimm dies und gib es nicht aus der Hand, sonst steht morgen im Garten ein weißer Stein mehr."
Verstohlen senkte der junge Mann seinen Blick und sah in seiner Hand denleuchtenden Aquamarinanhänger von der Perlenkette auf dem Gemälde.
Die Herrin des Schlosses betrat die Halle und ward freudig von den Gästen begrüßt. Jetzt erkannte der Maler in ihr das schöne Wesen vom Bild. Alles glich dem Bildnis auf Haar: die Kleidung, die Frisur, der Schmuck... nur an der Perlenschnur um ihren Hals hing kein Aquamarin. Ein banges Gefühl überkam den jungen Mann. Er betrachtete die Gäste und stellte fest, daß es nur Männer waren, daß sie nichts aßen, dafür aber um so mehr Rotwein tranken, und daß sie Kälte und Leichengeruch verströmten. Übelkeit erfaßte ihn, er erhob sich und floh in den Garten.
Hier sah er mit Schaudern an jedem der weißen Grenzsteine ein offenes Grab und las die jetzt deutlich gewordenen blutroten Zeichen darüber. Jede der Inschriften gab ein Grabgeheimnis preis: den Namen, das Alter des Mannes und die Stunde seines Todes.
"Ich freue mich, dich alleine hier zu sehen, Liebling", hörte er die sanfte Stimme des Mädchens, "komm mit, komm mit mir."
Die Kräfte verließen ihn und er folgte ihr gehorsam. Sie betraten das Schlafgemach. Das Prunkbett war mit Seidendecken und Spitzenwäsche frisch bezogen, schwere Teppiche bedeckten den Boden. Das Bild überdem Kamin aber war eine leere Leinwand.
"Komm zu mir", lockte die verführerische Stimme, "komm, Liebster, ich warte schon so lange auf dich."
Sie zog ihn an sich heran, neigte sich über ihn und küßte ihn und leidenschaftlich. Ihre Lippen glitten über sein Gesicht zumHals, er spürte ihre scharfen Zähne und zuckte zusammen. Nur mitMühe konnte er sie abwehren.
"Oh", stöhnte sie machtlos, "wer gab dir die Kraft, mir zu trotzen?"
"Weiche von mir, Weib! Laß mich los!"
"Hast du die Männer in der Halle gesehen? Ich habe sie alle geliebt und sie starben für mich. Sie sind mir alle treu geblieben. Jedesmal bei Vollmond locke ich mir einen neuen Liebhaber vom Festland her und keiner vermochte bis jetzt meinem Zauber zu widerstehen. Sie alle starben noch in derselben Nacht in diesem Bett."
"Weiche! Ich will weder dich, noch will ich sterben! Fort mit dir!"
"Herbei! Mir zur Hilfe!", schrie sie gellend um im Nebenraumerscholl der Lärm.
Geschickt sprang der junge Mann zum Fenster hinaus und rannte zur Grotte. Unten am Wasser erwartete ihn schon der alte, treue Josef in seinem Boot.
"Halte den Stein fest, nur er kann dich noch retten. Und beeile dich, sonst bist du verloren!" Der alte Josef stieß das Boot ab und der junge Maler ruderte um sein Leben.
Als er aus der Grotte fuhr, sah er noch, wie die wilde Meute sich auf den alten Mann stürzte und ihn unter sich begrub.
Nach ermüdendem, raschen Rudern erreichte der junge Maler den vertrauten Strand, sprang aus dem Boot und betrat die Schilfhütte. Sie war leer. Josef kam in dieser Nacht nicht zurück...
Der Jüngling ging zum Wasser, holte aus und warf den glitzernden Aquamarinanhänger weit in die Fluten. Die Sonne ging auf, vergoldete den Strand, belebte das Wasser mit ihren warmen Strahlen.
Der Maler packte seine wenigen Habseligkeiten zusammen und verließ für immer die Gegend.


"Das war die Geschichte vom Aquamarinanhänger. Diese Steine habe ich dir gezeigt. Aquamarin ist ein zarter, heller Stein aus der Gruppe der Berylle. Er gilt als Schutzstein der Seeleute. In diese Gruppe gehören auch der Smaragd, der farblose Goschenit, der gelbe Goldberyll und der zartrosa Marganit."
"Das mag schon sein, aber die Geschichte war trotzdem sehr traurigund grausam. Der arme Josef! Er ist doch ganz umsonst gestorben, hat seinLeben für die Dummheit eines anderen geopfert."
Murami dachte nach und erwiderte: "Die Jugend hat ein Recht auf Dummheit, sie wird erst mit den Jahren klüger und einsichtiger. Was aber die Gedanken, welche die Zwerge in die Kleinode einarbeiten, betrifft, so gibt es verschiedene, nicht nur negative. Oft wird die Entscheidung auch dem Besitzer des Juwels überlassen. Ich erinnere mich da an einen Stein, der Alexandrit heißt..."
"Erzähle, bitte!"
Und König Murami begann eine neue Geschichte.


 

 

 

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