Der Magier

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Prag, die goldene Stadt an der Moldau, hat eine tausendjährige Geschichte. Eine wunderschöne Stadt, reich an prachtvollen Palästen, herrlichen Kirchen, entzückenden Häusern. Eine Weltstadt voller Glanz!
Hübsche, verwinkelte Höfe hat Prag. Zur Straße hin sind sie durch breite Tore verdeckt. Im Innern grün und gemütlich, die Balkone voller Topfpflanzen. Man kann von einem Hof zum anderen gelangen, ohne auf die Straße zu gehen. Und von diesem weiter in den nächsten.
Prag hat auch finstere Gassen, schmale, düstere Gänge, triste Höfe, die wie Brunnen aussehen, versteckte Schlupfwinkel.
Noch tiefer, unter der Stadt, verlaufen die alten Kreuzgänge und Verbindungswege. Sei sind teilweise verschüttet und eingestürzt. Wenn man sich dort auskennt, so bieten sie Schutz und Intimität.
An der Kleinseite am Teufelsbach befindet sich heute noch "Das Haus zu den neun Teufeln", in dessen Keller eine Tür in den teuflischen Orkus führt...
Ende des 16. Jahrhunderts regierte der Kaiser Rudolf II. er residierte in Prag. Seine Staatskasse war leer, der Kaiser brauchte Geld. Alle Kaiser brauchen Geld.
So kam Rudolf II. auf den Gedanken, die Alchemisten nach Prag zu holen, damit sie ihm Blei, Kupfer oder Eisen in Gold verwandelten. Schwarzkünstler, Magier und Alchemisten aus aller Herren Länder strömten herbei. Neben dem prunkvollen Schloß des Kaisers entstand die Alchemisten- oder Goldmachergasse. Die kleinen, niedrigen Häuschen waren an die gewaltige Mauer des Schlosses angebaut. Sie waren unwirklich klein, fast wie Puppenhäuser sahen sie aus und hatten kaum Tiefe. In diesen Behausungen, in der Nähe des Schlosses, wurden die Goldmacher untergebracht und sie begannen mit ihrer Arbeit.
Unter den Ankömmlingen war auch ein Ägypter. Noch ehe er anreiste, ließ er für sich "Das Haus zu den neun Teufeln" erwerben.
Niemand sah ihn ankommen. In tiefer Nacht hielt eine Kutsche vor dem Haus, vier Personen stiegen aus und gingen hinein. Die Tür wurde sogleich verschlossen.
Die Bewohner des Hauses zeigten sich nicht. Zweimal in der Woche wurden Lebensmittel gebracht, eingelassen wurde die Frau, die sie lieferte, nicht. An der Tür nahm ein kleiner, verkrüppelter Mann mit sehr dunkler Hautfarbe die Waren ab, zahlte und verriegelte die Tür. Zu hören war ab und zu eine Mädchenstimme, gesehen wurde niemand.
Der ägyptische Magier war hager, wortkarg, abweisend. Er blickte so streng, daß niemand ihn anzusprechen wagte. Aber er war ein wissender, geachteter und weiser Mann. Er bot dem Kaiser seine Dienste an und versprach, Kupfermünzen in Goldmünzen zu verwandeln. Einen Lohn für seine Dienste lehnte er ab. Er sei selbst so reich, daß er an materiellen Gütern nicht interessiert sei. Er erbat lediglich die Gunst des Kaisers.
"Welche Gunst wäre das?", wollte der Herrscher wissen. Der Fremde bat seine Majestät untertänigst, sein einziges Kind, eine Tochter von seltener Schönheit, sobald diese das Alter erreichte, in die Gesellschaft der edlen Damen bei Hofe aufzunehmen. Der Kaiser willigte ein.
Aus der Prägeanstalt des Herrschers wurden auf kleinen Holztragen mehrere Säckchen mit Kupfermünzen gebracht. Der Ägypter schloß sich in der Werkstatt ein. Er erlaubte niemandem, seiner Tätigkeit zuzusehen, und keiner durfte ihn stören. Tag und Nacht brannte bei ihm das Licht, zu hören war nichts.
Nach einigen Tagen erschien der Magier beim Kaiser, legte ihm Goldmünzen vor und verkündete, daß er mit der Arbeit fertig sei. Der Herrscher war begeistert. Er selbst und nach ihm auch der Schatzmeister prüfte die Münzen - sie waren alle aus purem Gold! Der Ägypter wurde in Gnaden entlassen und die Staatskasse aufgefüllt.
Dann aber brach unerwartet ein Krieg aus. Der Kaiser mußte eine Armee aufstellen, Munition und Bekleidung für sein Heer bezahlen, für die Gehälter der Offiziere aufkommen. Das Gold in der Staatskasse schmolz dahin...
Also ließ der Herrscher den Fremden wieder rufen und befahl ihm, neues Gold zu machen. Aber er wollte mehr als beim ersten Mal. Der Ägypter willigte zögern ein, verlangte aber dafür, daß der Kaiser seine wunderschöne Tochter später mit einem Adligen verheiraten sollte. Auch dieses Mal schien dem Kaiser der Lohn angemessen, und er willigte in die Bedingungen des Magiers ein.
Wiederum wurden viele Säckchen mit Kupfermünzen zu der Werkstatt des Ägypters gebracht. Der Magier schloß sich ein.
Dieses Mal dauerte es etwas länger, aber eines Tages war die Arbeit getan. Der Kaiser bekam viel Gold, lobte den Meister und dieser entfernte sich bescheiden.
Aber kaum war das viele Gold im Schloß verstaut, als im Lande eine Seuche ausbrach, die die Menschen nur so dahinraffte. Das Gold in der Staatskasse zerrann und war bald alle.
Der Kaiser ließ den Ägypter rufen. Als dieser kam, verlangte der Herrscher: "Mach mir so viel Gold, daß ich es ausgeben kann, ohne mich einschränken zu müssen!"
"Die Wünsche Eurer Majestät übersteigen meine Möglichkeiten", antwortete der Weise schlicht, "so viel Gold vermag ich nicht herzustellen."
Der Machthaber drohte und bat, es war vergebens. Da kam ihm ein schlauer Gedanke in den Sinn und er schlug vor: "Mach mir noch dieses eine MalGold in ausreichender Menge, so viel, daß ich für Jahre versorgt bin.Dafür versprechen ich dir, deine Tochter, sobald sie das heiratsfähigeAlter erreicht, mit einem meiner Söhne zu vermählen."
Der Ägypter schwankte. Eine solche Gelegenheit würde sich nie wieder bieten. Schließlich willigte er ein.
Die Prägeanstalten des Kaisers wurden angewiesen, Tag und Nacht Kupfermünzen herzustellen. Der Magier begab sich in sein Privathaus. Das mehrstöckige Gebäude war nur auf der Seite zum Teufelsbach bewohnbar. Das obere Stockwerk war der Tochter vorbehalten. Das Mädchen verfügte über mehrere reich ausgestattete Zimmer und einen Wintergarten. Das Haus durfte es aber nicht verlassen.
Die junge Dame war gerade fünfzehn geworden, voll entwickelt und reizvoll gebaut. Der Vater kleidete sie in Samt und Seide, an den Armen trug sie Armbänder und Ringe, ihr Gesicht war hinter einem dichten Schleier verborgen. Sie wußte, daß sie sehr schön war und diese seltene Schönheit nicht zeigen durfte.
Sie war ohne Gesellschaft von Gleichaltrigen aufgewachsen, behütet und umsorgt von einer alten Dienerin. Schon als kleines Kind war sie von der Einmaligkeit ihrer Schönheit überzeugt gewesen. Vom Vater wurde sie verwöhnt und es gab nichts, was er ihr nicht kaufte. Spielzeug besaß sie im Übermaß.
Früh entdeckte sie den Reiz von Kristallen, später wurde ihr der Zauber edler Steine bewußt. Sie verlangte danach und bekam sie. Erst die Quarze, wie Bergkristall, Amethyst, Citrin. Eines Tages sah sie den Glanz der Granate, und diese Gruppe faszinierte sei mehr als alle anderen Stein. Granat hat hohe Lichtbrechung, das heißt, er leuchtet besonders intensiv und lebendig. Aber nicht der böhmische rotbraune Granat, der als "gemeiner" Granat bezeichnet wird, lockte die Schöne an. Sie war entzückt von der rubinroten Farbe eines Rhodoliths, vom Feuer eines Pyrops, von der Glut des Hessonits, von den zarten apfelgrünen Demantoiden und vom außergewöhnlich schönen Tsavorit! Dieser gleicht in der Farbe den besten Smaragden, aber in Ausstrahlung und Feuer übertrifft er sie bei weitem. Von diesen wunderschönen Steinen, die zur Granatgruppe gehören, konnte die Tochter des Ägypters nicht genug bekommen, und sie spielte mit ihnen, wie andere Kinder mit Murmeln spielen: mal warf sie sie in die Luft, dann streute sie die farbige Pracht über ihre Kleidung oder schüttete sie von einer Hand in die andere. Die Steine warfen Funken, jede Facette erzeugte anderes Lichtspiel. So vertrieb sie sich die Zeit in dem einsamen Haus in Prag.
Unten fiel die Haustür laut zu. Die Tochter warf die Steine weg und lief ihrem Vater entgegen. Dieser nahm sein einziges Kind zärtlich in die Arme und sagte liebevoll: "Heute hat mir der Kaiser versprochen, dich mit einem seiner Söhne zu vermählen. Du wirst die Schwiegertochter des Kaisers werden! Freust du dich darüber?"
Das Mädchen dachte noch nicht ans Heiraten, aber es freute sich, weil der Vater so guter Laune war. Der Magier küßte seine Tochter und begab sich in den Keller. Er nahm das Siegel von der Falltür ab, öffnete sie und rief einen Namen. Der Böse zeigte sich.
"Der Kaiser braucht Gold. Du mußt noch einmal Gold herzaubern!"
Der Teufel beeilte sich nicht mit der Antwort. "Zweimal habe ich dir bereits geholfen und aus Kupfer Gold gemacht, was zahlst du mir dieses Mal für meine Dienste?"
"Ich lasse dich wieder für vierundzwanzig Stunden heraus. Aber dieses Mal darf es weder einen Krieg noch eine Seuche geben!"
"Auch ich habe genug von diesen Spielereien", sagte der Ankömmling der Hölle.
"Was willst du also?" "In diesem Hause verbirgst du eine schöne Jungfrau. Ich will sie haben!", verlangte der Teufel.
"Nein! Hier ist keine Frau, nur ein Kind, meine Tochter." "Kann zeige sie mir!", forderte der Bewohner der Unterwelt. "Nein! Weg mit dir, Satan! Dieser Handel ist mir zu teuer!"
"Wovor fürchtest du dich? Ich will sie nur sehen, nur aus der Ferne kurz sehen... Es besteht für sie keine Gefahr", sagte der Böse verschlagen, "sieh mich an, ich bin behaart, klein und häßlich... mich beachtet keiner... ich will nur einen Blick auf sie werfen, sonst nichts. Dafür aber mache ich dir so viel Gold, wie du verlangst!"
Der Ägypter blieb unentschlossen und der Unhold fuhr listig fort: "Es besteht nicht die geringste Gefahr für deine Tochter, sie wird nicht einmal merken, daß ich sie gesehen habe. Wir sind neun Brüder, deshalb heißt das Haus auch ‚Zu den neun Teufeln'. Du läßt uns für ein paar Stunden heraus. Meine Brüder gehen in die Stadt, sie werden keinen Unfug treiben. Ich bleibe zurück, werfe nur einen kurzen Blick auf deine Tochter und folge sogleich den Brüdern nach. Da ist doch nichts dabei!"
Der Magier nickte.
Der Kaiser hatte bereits eine Menge Kupfermünzen in die Werkstatt des Fremden bringen lassen. Der Teufel ging ans Werk.
Als alle Kupfermünzen in glänzendes Gold verwandelt waren, verlangte der Böse seine Bezahlung. Der Magier mußte sein Versprechen einlösen. Er öffnete die Falltür. Neun Teufel kamen heraus, acht eilten aus dem Haus, der neunte blieb. Er ging die Treppe zum ersten Stock hinauf. Die Tür wurde geöffnet, und ein bezauberndes junges Mädchen kam heraus. Blitzschnell nahm der Böse eine andere Gestalt an: Da stand nicht mehr das abstoßende, haarige Wesen, sondern ein hinreißend attraktiver Jüngling. Das Mädchen traute seinen Augen nicht. Der junge Mann vor ihr war so unwiderstehlich verführerisch, daß sie stehenblieb und ihn voller Bewunderung anstarrte. Er kam einige Schritte näher, und seine Stimme klang wie Musik, als er sagte: "Zeig mir dein Gesicht, wunderbares Mädchen!"
Die junge Ägypterin hatte ihr Spiegelbild noch nie gesehen. In keinem ihrer Häuser gab es Spiegel, es wurde immer nur von ihrer außergewöhnlichen Schönheit gesprochen. Der Jüngling gefiel ihr so gut, daß sie sich den Schleier herunterriß.
Der Teufel machte einen Satz rückwärts, wurde wieder klein, behaart und furchtbar häßlich... das Mädchen hatte kein Gesicht! Nur ein Loch anstelle des Mundes und zwei Löcher als Augen.
Der Höllenbewohner lief davon, er war fuchsteufelswild: "Na warte!", zischte er wütend, "das zahle ich dir heim, du Betrüger!"
Schon kam der Diener angelaufen, sah seine Herrin ratlos dastehen, bedeckte ihr Gesicht wieder mit dem Schleier und flüsterte ihr die alten Worte der Lüge zu: "Beruhige dich, nicht jeder vermag deine Schönheit zu verkraften! Auch dieser nicht..."
"Warum ist er denn davongelaufen? ... Wer war er? Hol ihn zurück!"
Alle Münzen verwandelten sich im Nu in Kupfer zurück. Der Kaiser war so arm wie zuvor. Er schickte nach dem Ägypter, befahl ihn sofort zu sich, aber der Magier war verschwunden. Im Schutz der Dunkelheit verbarg er sich mit seiner Tochter und der Dienerschaft in einem der unterirdischen Gänge und floh unbemerkt aus dem Land. Man hat nie wieder von ihm gehört.
"Das Haus zu den neun Teufeln" steht immer noch am Teufelsbach und im Keller befindet sich die Falltür in die Unterwelt...




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